Zeichnung von H. Ludwig nach einem Ölgemälde der Familie


Antonio Giovanni Viscardi    27.12.1645 - 9.9.1713



Antonio Giovanni Viscardi wurde am 27. Dezember 1645 in San Vittore, im Misoxer Tal (dem Valle Mesolcina) des italienischsprachigen Graubünden, nahe der Tessiner Grenze getauft. Er entstammt einer Familie von Maurern und Architekten, deren Mitglieder trotz hohen Ansehens im heimatlichen Tal seit Generationen aus Existenzgründen gezwungen waren auszuwandern. Vater Bartolomeo, Großvater Giovanni Antonio, Urgroßvater Bartolomeo arbeiten nachweislich seit Mitte des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen, von Bayern bis in die Steiermark, und gar bis Mainz. Andere Mitglieder der Graubündner Sippe tauchen schon früher als Maurermeister, Stadtwerkmeister, Baumeister unter Namen wie Viskart (Viscart) Fischart, Vieschart, Viesshart, Wiscard, oder Fischardi auf. Dieses Gastarbeiter- und Emigrantenschicksal teilen die Viscardis mit zahlreichen Zunftgenossen der näheren Heimat, wie den Andreota, den Gabrieli, den Zuccalli.
Noch nicht ganz 30 Jahre alt ist Antonio Visacrdi im Frühjahr 1674 als Palier des kurfürstlichen bayerischen Hofbaumeisters Enrico Zuccalli beim Umbau der Altöttinger Wallfahrtskirche anzutreffen. Im Jahr darauf heiratet er in San Vittore, um seine junge Frau dann nach München mitzunehmen, wo er schon 1678 zum Hofmaurermeister des Kurfürsten Ferdinand Maria avanciert. Er erhält ein Entgelt von 200 Gulden.
Trotz anfänglich guter Berziehung zu seinem Vorgesetzten Zuccalli, der wie er aus dem Misoxer Tal, aus Roveredo, stammt, bleibt Viscardi in diesen Jahren in München aus dem privaten Kreis der "welschen" Handwerker und Architekten ausgeschlossen. Um 1680 hatte er Anspruch erhoben auf einen kleinen Garten vor dem Schwabinger Tor, dessen Nutzen ihm als Teil seiner Entlohnung als Hofmaurermeister zustand. Obwohl Zuccalli den Garten unter finanziellem Aufwand für sich angelegt hatte, entschied die angerufene Behörde zu Viscardis Gunsten. Zuccalli mußte nachgeben.
Laut Steuerbuch der Stadt München wohnt die Familie Viscardi in der heutigen Maffeistraße. Die Paten seiner Kinder sind namhafte Münchner, so zum Beispiel die Frau des Hof- und Geheimrats Graf Berchem, dessen Gunst und Wohlwollen Viscardi bis etwa 1684 hatte gewinnen können. Zu seinen ersten Arbeiten gehört die Renovierung des baufälligen Schlößchens Blutenburg unter Leitung Zuccallis.
Weitere Arbeiten beschränken sich auf Reparaturen und Gutachten wegen Baufälligkeit oder Arbeiten für die Oper. Für seinen Vorgesetzten Zuccalli führt er die Bauaufsicht an der Schleißheimer Schloßanlage. Der Bau des Josephspitals in München ist ind dieser Zeit sein erstes eigenes Werk. 1685 soll Viscardi, nun unter dem Kurfürsten Max Emanuel, die "liederlichen Zustände" am Hofbauamt beseitigen und wird deshalb für den unfähigen Franz Schinnagl als Hofbaumeister eingesetzt.
Viscardi und Zuccalli stehen sich bei der Arbeit feindlich gegenüber. Letzterer soll Viscardis Künstlerschaft nie anerkannt haben, sondern habe ihn vielmehr in seiner Arbeit gehemmt.
In der zweiten Phase seiner Laufbahn erscheint Viscardi weitgehend als freier Architekt, nachdem er 1689 wegen Meinungsverschiedenheiten und aus Gründen der Rivalität durch Betreiben Zuccallis aus dem kurfürstlichen Baureferat ausgeschlossen worden war. Seine Stelle erhielt nun Zuccallis Schwiegersohn Trubillio.
In den folgenden Jahren arbeitet Viscardi auch drei Jahre lang als Baumeister an der Theatinerkirche, als Nachfolger des verstorbenen Lorenzo Perti, wofür ihm ein Gehalt von vorläufig 200 fl. zugesagt war. Als er drei Jahre später ohne Entlohnung entlassen wird, erhebt er Einspruch, doch bleibt er trotz anerkannt guter Arbeit arbeitslos.
Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts zeigt Viscardi als regen Bauunternehmer, beauftragt von zahlreichen Ordensgemeinschaften, von adligen und bürgerlichen Herren:
Er erstellt in Landshut für die Jesuiten den Bau des Klosters. Für die Benediktiner von Metten baut er die Wallfahrtskirche Loh um. Mit Empfehlung von Kurfürst Max Emanuel überträgt Abt Dallmayr ihm den Neubau von Kloster und Kirche in Fürstenfeldbruck, wo 1691 unter Abt Balduin Helm die Grundsteinlegung für den Klosterneubau erfolgt. Auch den Münchner Salesianerinnen errichtet er den Neubau des Klosters. Er erneuert Saal und Kirche des Münchner Jesuitenkollegs St. Michael und erweitert die Klosteranlage der Benediktiner zu Benediktbeuren.
Der Bruder des Kurfürsten, Herzog Maximilian Philipp, läßt das kleine Schloß zu Türkheim errichten.
Graf Haunsperg baut mit ihm Schloß Hofberg bei Landshut. Gräfin Maria Adelheid Theresia von Rivera-Preysing gibt ein Stadthaus in München in Auftrag. Der Geheime Rat von Joner ist der Bauherr des Schlößchens Neuhofen in München-Sendling.
Das Viscardi-Unternehmen beschäftigt zu dieser Zeit zahlreiche und namhafte Bauleiter, Paliere und nahezu 150 Gesellen. So finden sich die Stadtmaurermeister Martin Gunezrhainer und Johann Georg Ettenhofer, Vittore Toni, Vetter Antonio Andreota und Georg Puchtler für die Bauten in München, Landshut und in der Oberpfalz in seinen Diensten. Die Stukkateure Giovanni Niccolè Perti, Pietro Francesco Appiani, Andrea Appiani und Pietro Marinetti sowie der Freskenmaler Hans Georg Asam, der zu dieser Zeit in Fürstenfeldbruck lebt, und der Hofmaler Johannes Andreas Wolff stehen ihm ab 1695 in Fürstenfeld zur Verfügung und arbeiten auch später in der Kirche von Freystadt für ihn.
Die Fertigstellung der Fürstenfeldbrucker Klosteranlage wird im Jahre 1700 durch die Schlußabrechnung des Abtes mit Viscardi belegt. Dem Kurfürsten hatte Viscardi mit Kloster Fürstenfeld einen "bayerischen Escorial" errichten sollen. Als Kloster, Fürstenpalais und von altersher als fürstliche Grablege hätte dieses Bauwerk vom Aufstieg Bayerns zur europäischen Großmacht zeugen sollen - so gedacht und geplant von Kurfürst Max Emanuel in diesen Jahren seiner persönlichen Machtentfaltung als Statthalter der spanischen Niederlande und vor allem als Vater des zukünftigen Königs von Spanien. Diesem Streben aber setzten der frühe Tod des jungen Kronprinzen und spanischen Thronkandidaten Joseph Ferdinand und der Ausbruch des spanischen Erbfolgekrieges ein jähes Ende ...
Trotz zahlreicher Aufgaben und Verpflichtungen reist Viscardi in diesen Jahren auch immer wieder nach San Vittore, wo er gute Kontakte pflegt und hohes Ansehen genießt. Er ist 1691 "Ministeriale" im Heimatort. Die Geburt seiner Tochter Anna Maria wird 1695 ins Kirchenbuch der Gemeinde eingetragen. Frau Viscardi erscheint kurz darauf als Patin eines Jo. Dom. Schenon.
Als Kirchenbaumeister erlangt Antonio Giovanni Viscardi den Höhepunkt seines Wirkens mit dem neuen Jahrhundert. Unter seiner Regie entstehen die Pfarrkirche Steindorf bei Mering und die Prämonstratenser Kirche Neustift bei Freising. Die Jesuitenkirche in Augsburg wird umgebaut. Für die neue Abteikirche von Fürstenfeld wird der Grundstein gelegt und der Bau des Chores begonnen. Dann allerdings wird der Bau mangels Geld alsbald eingestellt. Der Kurfürst war dem Kloster Rückzahlungen schuldig geblieben.
Das Hauptwerk dieser Phase aber stellt die Wallfahrtskirche Mariahilf zu Freystadt in der Oberpfalz dar. Als Zentralbau und Kirche vom Typ eines überkuppelten griechischen Kreuzes, welche auch in der Innenausstattung ganz besonders die typische Auffassung Viscardis in Wand- und Säulengestaltung aufweist, zeigt diese Kirche seinen persönlichen Stil am deutlichsten.
Seine Tätigkeit erlangt kurfürstliche Anerkennung im Jahre 1702, als er wieder als Hofbaumeister in den Dienst zurückgerufen wird mit einem Jahresgehalt von 600 florins, einschließlich 2 Mass Wein und 2 Mass Bier mit je 2 Broten. Nun ist er Zuccalli und Trubillio gleichgestellt. Ein Jahr später erhält er endlich das Bürger- und Meisterrecht in München.
Seine Karriere bricht auch nicht ab, als sich die politische Situation im Lande ändert. Viscardi kann sich auch während des Exils von Kurfürst Max Emanuel unter der kaiserlich-habsburgerischen Administration behaupten. Er verdrängt sogar seine langjährigen Rivalen Zuccalli und Trubillio und wird 1706 Hofoberbaumeister und im Jahre 1713 sogar noch kaiserlicher Hofober- und Landbaumeister. Auf Grund seiner Stellung gelingt es ihm auch, sich gegen den Fürstenfelder Abt Kasimir Kramer durchzusetzen. So erreicht er die Renovierung des Klosters, dessen kurfüstliche Räume der Abt in den vergangenen Jahren als Getreidespeicher genutzt hatte. Der Kurfürst kann somit nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1714 hier wieder zur Jagd weilen.
Neben der Vollendung seiner zahlreichen Bauten, vor allem auch der Bürgersaalkirche in der Münchner Neuhauserstraße, steht als künstlerischer Höhepunkt fast am Ende seines Lebens der Bau der Münchner Dreifaltigkeitskirche in der heutigen Pacellistraße, deren Fassade von Viscardis Biograph Karl Ludwig Lippert als "Kabinettstück persönlicher Gestaltung" gewertet wird und als "eines der interessantesten und reizvollsten Stücke des Münchner Barocks" gilt. (Zendralli)
Giovanni Antonio Viscardi wird schließlich im Sommer 1713 auf Grund seiner Leistungen zum Hof-, Ober- und Landbaumeister ernannt. Doch stirbt er schon am 9. September desselben Jahres in München.



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Zuletzt aktualisiert am 10.02.2017