Im Herbst 1987 entdeckte man in der Fossiliensammlung des Altbürgermeisters von Solnhofen, Herrn Friedrich Müller, ein sechstes Urvogelskelett. Herr Müller hatte es vor vielen Jahren erhalten, aber erst im Frühjahr 1987 eine Freilegung und Präparierung vorgenommen. Danach hielt man es zunächst für einen Skelettrest des Zwergdinosauriers Composognathus, ein durchaus verständlicher Irrtum, sind doch Lage und Größe des Skeletts recht ähnlich dem einzigen Composognathus-Exemplar, das in den Solnhofener Platten gefunden wurde. Fachleute erkannten allerdings aus dem besonderen Bau des Armskeletts, dass es sich nur um einen Urvogel, nämlich um Archaeopteryx, handeln kann. Kurz darauf erwarb die Gemeinde Solnhofen das Fossil. Dort ist es im Bürgermeister Müller-Museum ausgestellt und kann somit als das "Solnhofener Exemplar" bezeichnet werden.
Der genaue Fundpunkt dieses Urvogel-Exemplares ist heute nicht mehr bekannt. Das Gestein stammt aus dem Übergangsbereich der weicheren Fäule zum härteren Flinz. Alle Skelettknochen befinden sich auf einer Platte. Eine Gegenplatte existiert nicht. Die Steinplatte war ursprünglich in mehrere Teile zerbrochen. Bei der Bergung im Steinbruch sind dadurch einige Knochenreste verloren gegangen, vor allem wichtige Teile des Schädels und der Rumpfwirbelsäule, die Handgelenksregionen, ein Großteil des linken Fußes und die Schwanzspitze, die auf der Fossilienplatte allerdings ergänzt wurde. Das Urvogelskelett war also ursprünglich vollständig erhalten und im natürlichen Gelenkverband. Es liegt auf seiner linken Körperseite und zeigt Abdrücke der Befiederung des linken Flügels, der offenbar tiefer in den Bodenschlamm der Solnhofener Lagune eingesunken war. Bei schräger Beleuchtung deuten mehrere parallele, rippenartige Strukturen, die vom linken Unterarm ausgehen, auf die Federschäfte der Schwungfedern hin.
Diese Entdeckung ist von besonders aktueller Bedeutung, hat doch der englische Astronom Sir Fred Hoyle behauptet, die Federabdrücke der Archaeopteryx-Exemplare seien geschickte Fälschungen, und es handele sich in Wirklichkeit um die Skelette kleiner Saurier und nicht um echte Vögel. Diese absurde Unterstellung wird durch das neue Solnhofener Archaeopteriyx-Exemplar ein weiteres Mal widerlegt. Mit ihm ist bei allen Exemplaren die Befiederung nachgewiesen, ganz zu schweigen von dem ersten Fund von 1860, der Einzelfeder.
Eine genaue Untersuchung des Stückes an der Bayerischen Staatssammlung in München ergab eine so weitgehende Übereinstimmung der Skelettmerkmale mit den übrigen Archaeoteryx-Exemplaren, insbesondere mit dem Londoner Exemplar, dass es ebenfalls der Art Archaeopteryx lithographica zugeordnet werden kann. Ein Vergleich mit den übrigen Solnhofener Urvögeln zeigt allerdings, dass das neue Exemplar das größte Individuum der Art ist. Legt man die Flügellänge zugrunde, so ist es um 10 % größer als das Londoner Exemplar, um 13 % größer als Maxberg- und Haarlemer-Exemplar, um 25 % größer als das Berliner Exemplar und um 50 % größer als das Eichstätter Exemplar. Wir gehen davon aus, dass diese Individuen verschiedenen Wachstums- und Altersstadien entsprechen. Vielleicht verbergen sich darin aber auch geschlechtsverschiedene Tiere, also Urvogelhennen und -hähne. Es ist nicht bewiesen, dass diese sechs Urvögel eventuell verschiedenen Arten oder sogar Gattungen angehörten. Für solche Schlussfolgerungen reicht die Anzahl der Individuen bei weitem nicht aus.
Obwohl große Teile des Schädels fehlen, lassen sich die Zähne im Ober- und Unterkiefer recht gut erkennen. Die vorderen Zähne zeigen dabei eine typische Einschnürung, wie sie auch an den Zähnen des Londoner Exemplares zu beobachten ist. Die Schädellänge berechnet sich aus den vorhandenen Knochenresten auf 65 mm. Damit entspricht das Solnhofener Exemplar ziemlich genau der Größe eines heutigen Haushuhnes, auch in den meisten seiner übrigen Skelettproportionen.
Bemerkenswert war auch der Nachweis des Gabelbeines, der Furcula, einem U-förmigen Knochen des Brustschulterbereichs. Das Gabelbein ist besonders schön beim Londoner Exemplar erhalten und gilt als vogeltypisches Skelettelement. Es fehlt übrigens dem kleinsten Individuum von Archaeopteryx, dem Eichstätter Exemplar, wohl deshalb weil es bei diesem Jungtier noch nicht verknöchert war.
Auch beim neuen Solnhofener Archaeopteryx fehlt ein Brustbein, und das, obwohl es das größte und sicherlich älteste Individuum von allen ist. Das Fehlen des Brustbeins und damit einer größeren Ursprungsfläche für die Flugmuskulatur wie bei heutigen Vögeln deutet jedenfalls auf geringere Flugleistungen von Archaeopteryx hin. Da auch das Handskelett mit seinen drei weitgehend frei beweglichen Fingern den Schwungfedern keine so feste Verankerung erlaubte wie bei heutigen Flugvögeln mit ihren verwachsenen Handknochen, dürfte Archaeopteryx kaum zu einem ausdauernden Streckenflug fähig gewesen sein.
An den Fingern und Zehen sind auch an diesem Solnhofener Exemplar noch die Hornkrallen, die den Knochenkrallen aufsitzen, sehr gut erhalten geblieben. Sie zeigen dieselbe gekrümmte Form und nadelfeine Spitzen wie sie auch Haarlemer und Eichstätter Exemplar zu beobachten sind. Sie stimmen aber auch mit den Krallen von Tieren überein, die an Baumstämmen klettern und sich an der Rinde festklammern können, wie Spechte, aber auch Fledermäuse, Flughunde und Eichhörnchen. Damit wäre auch die Möglichkeit angedeutet, dass Archaeopteryx tatsächlich an Baumstämmen empor klettern konnte. Diese Erkenntnis war eines der wichtigsten Ergebnisse der Internationalen Archaeopteryx-Konferenz, die 1984 in Eichstätt stattfand. Zugleich bedeutet das, dass auch schon die Urvogel-Vorläufer klettern konnten und der Vogelflug wohl doch über ein Gleitflugstadium von oben nach unten sich entwickelte.
Allerdings deutet das Fußskelett auch des neuen Archaeopteryx-Exemplares auf sehr gute Laufeigenschaften hin und zeigt große Ähnlichkeit mit dem Fuß von kleinen Raubdinosauriern, wie zum Beispiel seines Zeitgenossen Compsognathus. Es ist ein vierzehiger Fuß, bei dem di erste Zehe kurz und nach rückwärts gerichtet ist. Bei modernen Vögeln sind die drei mittleren Mittelfußknochen zu einem einzigen Laufknochen verwachsen. Bei Archaeopteryx sind diese Knochen noch getrennt und darin ganz saurierartig. Beim neuen Solnhofener Exemplar ist aber eine beginnende Verschmelzung der Mittelfußknochen unverkennbar. Besonders deutlich ist das auf Röntgenaufnahmen zu sehen. Dies kann als eine wachstums- und altersabhängige Verknöcherung angesehen werden, aber auch als eine Tendenz in der Evolution in Richtung auf die späteren Vögel.
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Bürgermeister-Müller-Museum
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Zuletzt aktualisiert am 10.02.2017